Stimmungsbild Gaming & Rechtsextremismus

Veröffentlicht am 24. März 2023.

Kontext 

 

Seit dem Anschlag auf zwei Moscheen 2019 in Christchurch rückten digitale Spiele und Spiele-Plattformen vermehrt in den Fokus der Extremismusforschung. Der terroristische Anschlag wurde live auf Facebook geteilt, in Spielen stellten Rechtsextremist*innen die Tat nach und teilten dies mit anderen Spieler*innen. Zudem diente das Profil des Attentäters von Christchurch auf der Spiele-Plattform Steam für geraume Zeit als Anlaufstelle für Rechtsextremist*innen, die über die Kommentar-Funktion ungehindert Sympathiebekundungen und rechtsextremistische Codes auf das Profil von Brenton Tarrant schreiben konnten. Auch die Attentäter von Halle und München nutzten Spiele-Plattformen, um sich zu vernetzen und mit rechtsextremen Inhalten zu interagieren. Es zeigte sich in der wissenschaftlichen sowie journalistischen Aufarbeitung der Anschläge, dass die Plattformbetreiber*innen deutlich zu wenig gegen extremistische Gruppen, Symbole und Meinungsäußerungen in internen Foren vorgehen. Auf den Plattformen existiert die akute Gefahr, dass rechtsextreme Inhalte normalisiert sowie bagatellisiert werden und junge Menschen ungehindert der Agitation extremistischer Gruppierungen und lose organisierter Gemeinschaften ausgesetzt sind.  

Das Projekt RE:GAIN von Violence Prevention Network gGmbH untersucht die Verbreitung rechtsextremistischer Inhalte auf Spieleplattformen und erprobt Ansätze der Prävention und Intervention auf einschlägigen Plattformen. Im Rahmen des Projekts wurde eine Umfrage durchgeführt, mit dem Ziel, ein Stimmungsbild zu erhalten und einen Eindruck zu gewinnen, wie präsent rechtsextremistische Inhalte in der digitalen Alltagswelt von Gamer*innen sind. Die Antworten dienten als Basis zur Entwicklung von zielgruppenspezifischen Präventionsangeboten. Die Erhebung erfolgte im September 2022, sie wurde in 18 verschiedenen Steam-Gruppen platziert: in den Foren der Game-Magazine GameStar und PC Games, dem Fanseiten-Forenverbund Multimediaxis, in der Gaming-Rubrik von gutefrage.net sowie auf dem Subreddit zocken auf Reddit. Es nahmen insgesamt 240 Menschen4 an der Umfrage Teil. Diese waren überwiegend männlich (89%) und größtenteils älter als 26 Jahre (74%). Die Umfrage wurde nicht auf Repräsentativität ausgelegt, die Erhebung verfolgte demnach nicht das Ziel, Daten für eine dezidierte wissenschaftliche Weiterverarbeitung bereitzustellen, sondern einen quantitativen Überblick zum Feld Rechtsextremismus auf Spieleplattformen zu generieren. Im Folgenden werden die wichtigsten Ergebnisse der Umfrage vorgestellt.

 

Spiel- und Communityverhalten 

 

Der überwiegende Teil der Befragten (68%) spielt täglich digitale Spiele. Ebenfalls die Mehrheit nutzt täglich (50%) oder zumindest wöchentlich (33%) das Internet, um sich online zu Spielen zu informieren, online zu spielen oder sich im Internet mit anderen Spieler*innen auszutauschen. 

Ein Großteil der Befragten gab an, bereits neue Kontakte über Online-Spiele geknüpft zu haben (82%). Von diesen gaben wiederum 15% an, wöchentlich – und 5% täglich – neue Kontakte zu knüpfen.  

  

55% der Befragten gaben an, sich täglich bzw. wöchentlich auf Gaming-Plattformen auch über Themen abseits von Gaming auszutauschen. Die Befragten hatten die Möglichkeit, individuelle Antworten geben zu können, dabei wurden beispielhaft folgende Themen genannt: 

  • Politik   
  • Nachrichten 
  • Kunst 
  • Sport 
  • Private Alltagsthemen 

 

Des Weiteren stimmten die Befragten zu 56% der Aussage zu, den Eindruck zu haben, dass unangemessen über Gaming berichtet wird, indem Gamer*innen mitunter als potenzielle Rechtsextremist*innen stigmatisiert werden.
 

 

Einordnung Rechtsextremismus

 

Im zweiten Themenblock wurden Fragen zur eigenen Wahrnehmung und Einschätzung des Phänomens Rechtsextremismus gestellt. Die Befragten verstehen unter Rechtsextremismus vor allem Rassismus (88%), Antisemitismus (81%) und die Abwertung vermeintlich anderer (74%). Die Faszination von Gewalt assoziieren zwei von fünf (40%) Befragten mit Rechtsextremismus; Sexismus und Antifeminismus nur ein Drittel (36%). 

Die Angaben weisen darauf hin, dass die Befragten ein grundlegendes Verständnis von Rechtsextremismus im Allgemeinen und insbesondere Kenntnisse über die damit verbundenen Abwertungskategorien haben. 90% gehen davon aus, rechtsextreme Aussagen und Argumentationsmuster voll und ganz oder eher erkennen zu können. 

 

Auch die Tragweite und Relevanz des Phänomens scheint dem Großteil der Befragten bewusst. Rechtsextreme Aussagen online sind für sie ein ebenso großes Problem wie im “realen Leben”.  

 

 

Gaming & Rechtsextremismus 

 

Im dritten Themenblock wurden die eigenen Erfahrungen mit rechtsextremen Inhalten und Äußerungen auf Spieleplattformen abgefragt. Rechtsextreme Witze und Aussagen fielen demnach besonders auf Reddit, YouTube (je 60%) und Steam (48%) auf.  

Rechtsextreme Äußerungen fielen den Befragten dabei am häufigsten in offenen Foren auf (73%) auf. Etwa der Hälfte begegneten diese auch im Voice- oder Text-Chat von Spielen.  

 

Knapp 60% der Befragten gaben an, dass ihrer Einschätzung nach zumindest teilweise die Gefahr bestünde, dass sich Menschen auf Spieleplattformen oder im Austausch mit anderen Spieler*innen radikalisieren können.  

 

Handlungsmöglichkeiten & Umgang mit Rechtsextremismus Online 

 

Der vierte Block hatte das Ziel, einen Eindruck darüber zu erhalten, wie die Befragten ihre eigenen Handlungsmöglichkeiten einschätzen und wie sie auf rechtsextreme Inhalte online reagieren. Während etwa 66% der Befragten sich fähig dazu fühlen, auf rechtsextreme Inhalte zu reagieren, konnte etwa ein Viertel der Befragten hier nur teils zustimmen (24%) und etwa 10% der Befragten stimmten der Aussage sogar eher nicht (7%) oder überhaupt nicht zu (3%).  

 

Ein Großteil (79%) der Umfrage-Teilnehmer*innen gab an, regelmäßig rechtsextremen Content auf Plattformen zu melden. Zudem bewerten 61% der Befragten rechtsextreme Aussagen in Foren absichtlich schlecht, um den Effekt zu erzielen, dass die Inhalte weniger Personen angezeigt werden. Den Betroffenen Hilfe anbieten oder die*den Autor*in anschreiben, würden jedoch nur weniger als jede*r Zehnte (7%) tun.  

Die meisten Befragten stimmten der Aussage zu, dass die von ihnen genutzte Plattform simple Möglichkeiten biete, Inhalte zu melden (85%).  

Danach gefragt, ob sie den Eindruck haben, dass Meldungen zu rechtsextremen Inhalten seitens der Plattformbetreiber*innen ernst genommen werden, antworteten 40% mit ja und 38% mit nein. Ein knappes Viertel (22%) der Befragten gab allerdings an, dass man die Frage nicht allgemeingültig für jede Plattform beantworten könne. Vielmehr würde es von Plattform zu Plattform variieren, ob und wie ernst Meldungen zu rechtsextremistischen Inhalten genommen werden.  

 

Bedarfe 

 

Im letzten Themenblock wurde gefragt, ob die Befragten sich eine*n Ansprechpartner*in zum Thema Rechtsextremismus wünschen und zu welchen Themenfeldern sie gerne mehr erfahren würden.
Etwas über ein Drittel (35%) gab an, sich eine*n Ansprechpartner*in im Umgang mit rechtsextremistischen Äußerungen und Bildern auf Spiele-Plattformen zu wünschen.   

Maßgeblich wäre hierbei allerdings die konkrete Art der Umsetzung. Viele der Befragten fügten an, dass ein*e Ansprechpartner*in an sich weniger zielführend sei, als das Betreiben von Aufklärungsarbeit oder eine Optimierung des Meldesystems. 

Auf die Frage, über welche Themen die Teilnehmenden gerne mehr erfahren wollen würden, antworteten ungefähr drei von fünf Befragten, dass sie gerne mehr über „Handlungsmöglichkeiten online“ (60%), bzw. „Radikalisierungsprozesse und Rechtsextremismus auf Spieleplattformen“ (59%) lernen möchten. Nahezu die Hälfte wünscht sich mehr Wissen über Radikalisierung allgemein (46%). Deutlich seltener gaben die Befragten an, mehr über „Rechtsextremismus allgemein“ (23%) erfahren zu wollen. 

 

Fazit

  

Die Umfrage-Ergebnisse zeigen, dass viele der Befragten sehr regelmäßig online spielen und die gegebenen Kommunikationsmöglichkeiten der Spiele und Plattformen ein zentraler Bestandteil des Spielerlebnisses sind. Die Teilnehmer*innen beschäftigen sich auf Gaming-Plattformen mit Themen, die auch offline eine Rolle in ihren Leben spielen und knüpfen regelmäßig neue Kontakte. Dieser Aspekt macht den Zugriff auf digitale Lebenswelten über Gaming-Plattformen für rechtsextreme Akteur*innen aus unserer Sicht besonders attraktiv. Die Kontaktaufnahme in Gaming-Foren und -Kontexten erfolgt anonymer als auf klassischen Social-Media-Plattformen – Gaming dient als verbindendes Element, um Menschen anschließend weiter in Chats, Gruppen oder Gilden mit rechtsextremer Ausrichtung weiterzuleiten. Der überwiegende Teil der Befragten schätzt Rechtsextremismus als sehr problematisch ein und hält ihn in Gaming-Communities für genau so problematisch, wie im „echten” Leben. Fast alle Befragten gaben an, rechtsextremistischen Äußerungen in Chats, Foren oder Gruppen begegnet zu sein. Zwar hatten die Befragten ein grundlegendes Verständnis über das Phänomen Rechtsextremismus, jedoch war nur ein Teil der Befragten davon überzeugt, rechtsextreme Inhalte sicher erkennen zu können. Nur ein geringer Anteil hält das eigene Vorwissen für ausreichend, um online selbst gegen Rechtsextremismus aktiv werden zu können und mit vermeintlichen Extremist*innen in ein Gespräch zu gehen. Auch, wenn es den meisten Befragten aus ihrer Sicht zumindest punktuell an Wissen fehlt, scheint Interesse daran zu bestehen, sich dieses anzueignen. Auch der Wunsch nach einer Ansprechperson zeigt, dass viele Spieler*innen mehr Unterstützung auf Plattformen wünschen.   

Anhand der in der Umfrage geäußerten Bedarfe wurde ein Workshop zum Thema „Rechtsextremismus und Gaming“ konzipiert und angeboten. Dieser wurde sowohl öffentlich auf Gaming-Plattformen beworben, als auch durch die direkte Ansprache ausgewählter Moderator*innen von Foren mit Gaming-Bezug. Perspektivisch sollen weitere Workshops umgesetzt werden, die sich spezifisch an die Zielgruppe der Moderator*innen und professionellen Akteur*innen im Handlungsfeld richten. Um eine breitere Zielgruppe an Spieler*innen zu erreichen, wird das Projekt Angebote ergänzen. Hierzu zählen interaktive Formate, die sich näher an den Seh- und Nutzungsgewohnheiten der Zielgruppe orientieren und auf anknüpfenden Video-Plattformen ausgespielt werden (sog. Let’s Plays). Ergänzt wird dies durch eine projekteigene Steam-Gruppe, welche den Mitgliedern die Möglichkeit zum Austausch bietet und ihnen Ressourcen zur Information über und den Umgang mit Rechtsextremismus im Kontext von Gaming-Communities anbietet, sowie ein Steam-Profil, das zur niedrigschwelligen Kontaktaufnahme genutzt werden kann.