SOMEX Short Paper 1 – „Nur für Akhwat? – Eine genderspezifische Analyse islamistischer Netzwerke, Akteur*innen und Strukturen auf Instagram“

Veröffentlicht am 18. Dezember 2024.

Welche islamistischen Accounts von weiblich gelesenen Akteurinnen gibt es? Wie sind sie und ihre Follower*innen miteinander verbunden? Welche Rolle spielen bekannte männliche Prediger und Gruppen? Rezipieren Nutzer*innen nur Inhalte aus einer extremistischen Filterblase oder sind die Inhalte divers? Welche (thematischen und visuellen) Auffälligkeiten finden sich unter den beliebtesten Accounts? 

Diese Fragen sind der Ausgangspunkt für das erste Short Paper im Projekt SOMEX: „Nur für Akhwat? – Eine genderspezifische Analyse islamistischer Netzwerke, Akteur*innen und Strukturen auf Instagram“. Der Fokus auf weiblich gelesene Akteurinnen ist dabei besonders relevant, da Frauen in der Forschung und im Diskurs über politische Gewalt lange wenig beachtet wurden. Teilweise wird ihnen eine eigenständige (politische) Motivation sowie agency abgesprochen. Außerdem zeigt sich im deutschsprachigen islamistischen (Um-)Feld auf Social Media, dass männliche Akteure eine größere Sichtbarkeit und Reichweite erzielen.  

Auch die praxisorientierte Forschung im deutschsprachigen Raum brachte so in den vergangenen Jahren nur wenige Publikationen und Erkenntnisse zu Rolle, Netzwerken und Rekrutierungsstrategien von weiblich gelesenen Personen oder unter Beteiligung von weiblich gelesenen Personen aus islamistischen Kreisen hervor. Trotz ihres reichen Erfahrungswissens besteht aus Perspektive von Praktiker*innen der Deradikalisierungs- und Distanzierungsarbeit weiterhin der Bedarf, nachzuvollziehen, welche Mechanismen in der Rekrutierung und perspektivischen Radikalisierung von weiblich gelesenen Personen besonders greifen. 

Das Projekt SOMEX nimmt daher explizit weiblich gelesene Akteurinnen in den Fokus und untersucht, wie diese auf Social Media agieren. 

Vorgehen 

Um fundierte und umfangreichere Einblicke in die Nutzung und Verbindung von Social Media-Plattformen wie Instagram bekommen zu können, braucht es datenbasierte Vorgehensweisen, die strukturiert eine Vielzahl an Nutzer*innen und Accounts analysieren können. Daher hat das SOMEX-Team eine Netzwerkanalyse, ausgehend von 20 weiblich gelesenen islamistischen Social Media Accounts, durchgeführt. Dazu wurde das Abo-Verhalten von über 5.000 anonymisierten Nutzer*innen analysiert. Diese Accounts folgten über 3,5 Millionen verschiedenen Accounts.  

Die knapp 1.000 Kanäle, die am häufigsten im Datensatz abonniert wurden, hat das Projektteam händisch gesichtet und kodiert hinsichtlich der Fragen, 1) Verbreitet der Account islamistische Inhalte? 2) Welchem gelesenen Geschlecht lassen sich die Sprecher*innen des Accounts zuordnen? 

Außerdem wurde für diese Accounts berechnet, wie stark sich die erfassten Follower*innen überschneiden. Basierend auf dieser Überschneidung wurde dann mit einem Algorithmus eine Netzwerkkarte erstellt, die zeigt, welche Accounts viele Überschneidungen haben.  

Die Kombination aus einem umfangreichen Datensatz, der quantitativ-statistischen Aufbereitung sowie der qualitativen Kodierung der Kanäle ermöglicht einen umfassenden Einblick in das (Um-)Feld islamistischer Akteurinnen auf Instagram. 

Ergebnisse und Empfehlungen 

Mit der Netzwerkanalyse konnten sowohl neue weiblich wie auch männlich gelesene Accounts identifiziert werden, die islamistische Inhalte auf Social Media verbreiten. Zudem fanden sich auch viele bekannte (vor allem männliche) Accounts im Datensatz. Insbesondere die reichweitenstarken Kanäle, die der Hizb ut-Tahrir nahestehen, wurden häufig abonniert. Bei männlich gelesenen Accounts war der prozentuale Anteil der als „islamistisch“ eingestuften Accounts deutlich höher als bei den Accounts, die als weiblich gelesen oder keinem Geschlecht zuordenbar kodiert wurden. Durch die Netzwerkanalyse wird zudem deutlich, dass weiblich gelesene Accounts tendenziell weniger politisch, sondern stärker auf persönliche und religiöse Themen wie z. B. Erwartungen an Frauen, Erziehung und Verhaltensvorschriften fokussiert sind. Weiter lassen sich Verknüpfungen und gegenseitige Beeinflussungen mit männlich dominierten Accounts identifizieren. Die Analyse zeigt außerdem, dass einige weiblich gelesene Accounts Inhalte von männlichen islamistischen Akteuren reproduzieren, was umgekehrt jedoch nur sehr vereinzelt stattfindet. 

Insgesamt zeigte sich jedoch unter den knapp 1.000 beliebtesten Accounts, dass die Mehrheit keine islamistischen Inhalte verbreitet. Es fand sich eine Vielzahl verschiedener Accounttypen, die von Prominenten, Sportstars über Influencer*innen, Nachrichtenseiten, Hobby-Accounts bis zu religiösen Inspirationen reichten. Eine (vollständig) geschlossene Blase, in der ausschließlich islamistische Inhalte rezipiert werden, scheint es bei den analysierten Nutzer*innen nicht zu geben. 

Anhand der rezipierten Accounts ließ sich erkennen, dass aktuelle gewaltsame Konflikte, insbesondere der sogenannte „Nahostkonflikt“ eine große Relevanz für die Nutzer*innenschaft hat. Verschiedene nicht-extremistische Akteur*innen, die Bezug auf den Konflikt nehmen, wurden häufig abonniert. Die Netzwerkkarte offenbart zudem eine geschlechterspezifische Aufteilung der Accounts. Hierfür gibt es verschiedene Erklärungsansätze, die in der Publikation ausführlicher diskutiert werden.  

Abschließend widmet sich die Publikation zudem der Frage, welche Aspekte zukünftige (Forschungs-)Projekte in den Blick nehmen könnten und welche Implikationen und Empfehlungen sich basierend auf den Ergebnissen der Analyse ergeben.

ZUM DOWNLOAD DER PUBLIKATION