Rechtsextreme Parallelwelten in Gaming-Communities
Veröffentlicht am 3. Januar 2023.
1. Einleitung
Nicht erst mit Beginn der Corona-Pandemie fand ein erheblicher Bedeutungszuwachs des Sozialraums Internet statt, Computerspiele und die dazugehörigen Plattformen wie Steam, Messenger wie WhatsApp, Social-Media-Plattformen wie Instagram oder Diskussionsforen wie reddit sind selbstverständlicher Teil der Lebenswelt nicht nur junger Menschen. Auch rechtsextreme Szenen nutzen digitale Räume selbstverständlich zur Rekrutierung neuer Anhänger*innen, zur Verbreitung ihrer Ideologie und zur Organisation bestehender Strukturen. Digitale Räume (und damit auch Gaming- bzw. Virtual Communities) können eine erhebliche Rolle bei Radikalisierungsprozessen spielen. Mittlerweile sind Kontakte zu Szenenangehörigen im offline Leben nicht mehr zwingend erforderlich, um Zugang zu typischen Inhalten und Ideologien zu bekommen oder sich zu radikalisieren. Ein Internetanschluss genügt bereits, wie die rechtsextremistisch motivierten Terroranschläge von München (2016) und Halle (2019) aufzeigen. Im Kontext dieser rechtsterroristischen Aktivitäten der letzten Jahre erwies sich insbesondere Steam, eine Gaming-Plattform, die den Vertrieb von Spielen mit verschiedenen Community-Funktionen wie persönlichen Profilen, Freundeslisten, Live-Chats, und Diskussionsforen verknüpft, als bedeutsam.
Das Projekt RE:GAIN widmet sich der Beobachtung rechts-motivierter Cyberaktivitäten auf Steam, um ein besseres Verständnis für deren Funktionen und Bedeutung für die Szene zu erlangen. Sie untersucht Strategien, mit denen potenzielle Mitglieder an die Szene gebunden werden. Dies ist maßgeblich für die Entwicklung präventiver bzw. intervenierender Maßnahmen, um junge Menschen vor der Ansprache rechter Akteur*innen in Gaming-Kontexten schützen.
2. Untersuchungskonzept und Methodik
Zunächst umfasst unsere Arbeit eine online-ethnographische Untersuchung der auf Steam existierenden rechtsextremen Netzwerke (Virtual Communities). Das Ziel der Untersuchung ist die Bestimmung des sogenannten „Gesamtlebens” rechts-orientierter Steam-Gruppen. Dazu werden ihre Strukturmerkmale analysiert, angelehnt an die acht Strukturmerkmale virtueller Communities, welche die Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg im Rahmen von Lehrforschungsprojekten ermittelt hat (Marotzki 2017, S. 155 ff.). Folgende Fragestellungen liegen unserer Untersuchung der rechtsextremen Steam-Gruppen zugrunde:
- Wie wird das (Zusammen-)Leben in den ermittelten Steam-Gruppen organisiert und gestaltet? Welche Verhaltenskodices, Wertvorstellungen und gemeinschaftlich geteilte Weltanschauungen prägen dieses Zusammenleben?
- Wie sind die soziographischen Strukturen dieser Gruppen beschaffen: Finden hier Vergemeinschaftungsprozesse statt? Bestehen zwischen den Gruppenmitgliedern soziale Beziehungen? Wenn ja: welcher Art und Qualität?
- Wie wird die Kommunikationsstruktur von rechts orientierten Steam-Gruppen genutzt: Welche der von Steamzur Verfügung gestellten Funktionen werden von diesen Gruppen genutzt, und wie wird die Nutzung dieser Funktionen gestaltet? Für welche Zwecke kommen die einzelnen Funktionen jeweils zum Einsatz und welche Zielsetzungen werden mit diesen verfolgt? Welche externen Dienste werden dabei mit den von Steamangebotenen Funktionen verknüpft?
- Von wem werden in den Steam-Gruppen welche Informationen und Inhalte in welcher Form wem zur Verfügung gestellt?
- Wie wird das Identitätsmanagement in rechts orientierten Steam-Gruppen gestaltet: Welches Selbstverständnis liegt diesen Gruppen zugrunde, und wie wird dieses nach außen hin vermittelt? Welche Feindbilder werden im Rahmen des Identitätsmanagements auf welche Weise eingesetzt? Gibt es einen Leitgedanken bzw. ein Leitmotiv?
- Welche Möglichkeiten der Partizipation gibt es in den Steam-Gruppen für ihre Nutzer*innen? Wem werden diese Möglichkeiten zur Verfügung gestellt? In welchem Maße werden diese Partizipationsmöglichkeiten von den Nutzer*innen wahrgenommen?
- Gibt es Bestrebungen und / oder Vorkehrungen, die Online-Beziehungen auch auf das reale Leben auszuweiten? Welche Rolle spielen Steam, und die auf dieser Plattform stattfindenden Aktivitäten für Aktionen im realen Leben?
- Welche Formen von rechts motivierten Cyberaktivitäten finden in den ermittelten Steam-Gruppen statt, welche Zielsetzungen liegen diesen zugrunde, und welche Strategien kommen dabei zum Einsatz?
- Auf welche Art und Weise werden ideologische Elemente und Weltanschauungen formuliert und kommunikativ vermittelt? Auf welche Weise werden Selbst- und Feindbilder kommuniziert? Welche Kommunikationsstrategien kommen dabei zum Einsatz, auf welche Stilmittel wird zurückgegriffen, und was zeichnet den allgemeinen gruppeninternen Sprachgebrauch aus?
3. Die Gaming-Plattform Steam
3.1 Unterschiede zu anderen Plattformen und Diensten
Die Kombination von Online-Gaming und Community-Funktionen unterscheidet Steam von anderen Plattformen und Diensten, die von rechtsextremen Netzwerken für ihre Aktivitäten genutzt werden. Ein zweites Alleinstellungsmerkmal von Steam ist das spezifische „Publikum “, zu welchem die Plattform auch rechtsextremen Netzwerken Zugang verschafft: eine Gaming-Subkultur entsteht.
3.2 Kommunikationsstruktur
Grundsätzlich verfügen Steam-Gruppen über einen Diskussionsbereich, separate Teilbereiche für Ankündigungen, Ansprachen für anstehende Events, eine Kommentarsektion sowie einen Live-Chat. Diese Funktionen sollen dazu dienen, dass sich Nutzer*innen anhand eines geteilten Interesses für gewisse Spiele miteinander vernetzen.
3.3 Gaming und Gewaltbereitschaft
Gaming-Subkulturen können als Bestandteil der Lebenswelt junger Menschen nicht unter Generalverdacht gestellt werden, extremistischen Haltungen nahezustehen oder diese zu fördern. Gaming als Teil der Freizeitgestaltung kann ein positives Sozialverhalten und Sozialisierungsprozesse fördern, sowie isolierten Individuen einen gesellschaftlichen Anschluss oder Zugang ermöglichen. Stigmatisierende Darstellungen von Gamer*innen als z. B. gewaltbereit oder unsozial sind können bei Betroffenen Desintegrationsprozesse anstoßen oder befördern.
4. Die Arbeit im Feld
Insgesamt wurden 35 Steam-Gruppen betrachtet, 15 davon auf umfassende Weise anhand der oben definierten Analysemerkmale. Die Ergebnisse wurden vergleichend gegenübergestellt und ausgewertet. Die zu der jeweiligen Gruppe gesammelten Daten wurden darüber hinaus regelmäßig aktualisiert und analysiert. Dabei konnte festgestellt werden, dass sich die auf Steam agierenden, rechtsextremen Netzwerke im Hinblick auf deren Gestaltung bzw. Ausrichtung, in ihren Zielsetzungen und Funktionen sowie hinsichtlich der in diesem Sinne stattfindenden Aktivitäten unterscheiden. Auch die Art der Beziehung zwischen den Gruppenmitgliedern und das Partizipationsverhalten in den untersuchten Steam-Gruppen ist uneinheitlich. Darüber hinaus ist anzumerken, dass die Vielfalt der auf Steamagierenden rechtsextremenNetzwerke und Nutzer*innen das gesamte rechte Spektrum [1] weitestgehend abdeckt, und sich diese somit auch hinsichtlich der Verortung im rechten Spektrum unterscheiden.
Basierend auf diesen Beobachtungen wurde eine Typisierung für rechtsextreme Gruppen auf Steam ausgearbeitet und modelhaft in drei Gruppen-Typen gegliedert.
5. Beobachtungen
5.1 Die Typisierung rechtsradikaler und rechtsextremer Steam-Gruppen [2]
Aufbauend auf den ethnologischen Beobachtungen wurden Eigenschaften der Gruppen ausdifferenziert und gebündelt, anschließend erfolgte eine Typisierung – angelehnt an Max Webers Konzept von Idealtypen. Entstanden sind drei Gruppen-Typen, die Modellhaft beschreiben sollen, welche Form von Kommunikation stattfindet und welchen Zweck diese verfolgt. Die Gruppen Typen sind als ein erster Vorschlag zu verstehen, um die Umfassenden Eindrücke zu bündeln und sprachlich handhabbar zu machen.
5.1.1 Typ Newsgroup
Die primäre Funktion dieses Steam-Gruppen-Typus ist die Bereitstellung bzw. Verbreitung von Informationen und szenetypischen Inhalten wie Bildern, Memes und Links zu YouTube–Videos und Websites rechtsextremer Organisationsplattformen. Die Bandbreite der Inhalte umfasst dabei aktuelle politische Entwicklungen und Thematiken, ideologische Elemente, Informationen zu politischen Parteien und ihren Programmen, YouTube-Videos (auch zu Unterhaltungszwecken), glorifizierende Bezüge zur NS-Vergangenheit (häufig in Kombination mit Geschichtsrevisionismus) etc. Durch die Auswahl der Inhalte werden zugleich sekundäre Ziele verfolgt (z. B. Agitation, Hetze gegenüber Feindbildern etc.).
Die sogenannten Newsgroups kennzeichnen sich durch ihren Blog ähnlichen Charakter. Gemeinsames Spielen und ein öffentlicher, direkter Austausch der Mitglieder beispielsweise über den Diskussionsbereich oder den Live-Chat finden wenig bis gar nicht statt. Die Gruppe dient in diesem Zusammenhang als Informationsplattform. Durch die geringe Moderation und Intervention Seitens des Plattformanbieters, eignet sich Steam für Rechtsextremisten, um weitestgehend ungestört Agitation und Hetze zu betreiben. In den Gruppen herrscht so teilweise ein enthemmtes Klima, da sich die Gruppenmitglieder scheinbar sicher und unbeobachtet fühlen.
Die Newsgroups erscheinen losgelöst von der Gaming-Komponente auf Steam. Es ist anzunehmen, dass das gemeinschaftliche Gaming für diese Gruppen keine Bedeutung hat.
5.1.2 Typ Interest Group
Dieser Steam-Gruppen-Typus dient nicht nur der Verbreitung von szenetypischen Inhalten und extremistischem Gedankengut, sondern ist auch aktionsorientiert (sowohl online als auch im realen Leben): Es werden beispielsweise sog. Raids [3] durchgeführt, welche bestimmten Feindbildern gelten, allem voran Individuen und Gruppierungen, die als „links“ wahrgenommen werden. Darüber hinaus wird auch über Termine und Veranstaltungen im realen Leben informiert, beispielsweise Anti-Corona Demonstrationen. Die Teilnahme an derartigen Veranstaltungen wird zudem über Steam koordiniert.
Die Mitgliedschaft in solch einschlägigen Gruppen, welche sich häufig durch Namen und Gruppensymbol als rechtsextrem nach außen zu erkennen geben, kann von Mitgliedern als Erkennungs- und Statussymbol genutzt werden, um sich einfacher mit anderem rechtsextremem Spieler*innen auf der Plattform verbinden zu können.
Die Gaming-Komponente von Steam wird in einzelnen Fällen oberflächlich integriert, erscheint für diese Gruppen aber weder ausschlaggebend noch konstituierend.
5.1.3 Typ Spieler*innengemeinschaft
Im Gegensatz zu den zuvor skizzierten Steam-Gruppen Typen sind die Spieler*innengemeinschaften nicht für die (öffentliche) Verbreitung von szenetypischen Inhalten und ideologischen Elementen konzipiert. Viele der Gruppen dieses Typus sind nicht frei zugänglich, so haben die Gruppen teilweise eigene Satzungen, denen durch eine kurze Bewerbung und Stellungnahme zugestimmt werden muss, um aufgenommen werden zu können. Die Mitglieder der Gruppen treffen sich regelmäßig zum gemeinsamen Spielen und Austauschen über externe Kommunikationsdienste wie Discord und Teamspeak [4]. Die besten und aktivsten Spieler*innen werden geehrt und positiv hervorgehobenen, wodurch eine enge Verbindung zwischen den einzelnen Mitgliedern besteht. Im Rahmen des gemeinsamen Spielens wird häufig Militär-Sprache verwendet, teilweise auch auf Einheiten der Wehrmacht und Waffen-SS Bezug genommen. Aus diesen historischen Bezügen werden in vielen Gruppen spezifische Werte wie Team- und Kampfgeist, Zusammenhalt und Kameradschaftlichkeit abgeleitet und unter rechten Lesarten konstruiert.
5.2 Rote Fäden der untersuchten Steam-Gruppen
Obwohl sich die verschiedenen Steam-Gruppenarten wie dargelegt in vielen Punkten unterscheiden, teilen sie auch einige Merkmale, welche vor allem das Kommunikations- und Strategieverhalten betreffen.
Ein roter Faden, der sich bisher nahtlos durch alle untersuchten Steam-Gruppen zieht, ist das jugendaffine und moderne Auftreten. In diesem Kontext ist zu beobachten, dass Gruppen vereinzelt auf bestimmte Personen und Interessen zugeschnitten werden (siehe Bild 1, Gruppe Völkisch Warriors für „coole deutsche Kinde und Jugendliche“).
Massenmediale Inhalte werden in den Interest– und Newsgroups auf eine Weise ausgewählt und zur Diskussion gestellt, welche die Implementierung und Verfestigung rechtsextremistischer Weltbilder erleichtert, beispielsweise durch das Aufgreifen von Themen und Inhalten, welche vermeintlich oder tatsächlich von Medien vernachlässigt werden, oder durch den weitreichenden Rückgriff auf Feindbilder, welche den gruppeninternen Zusammenhalt stärken und die Mobilisierung erhöhen. Kombiniert mit der emotionalen, auf subjektiven Eindrücken basierenden Diskursführung, die zugleich polarisieren und Handlungszwänge konstituieren soll, dem Agitieren sowie dem gezielten Schüren von Misstrauen und Wut gegenüber der Regierung, eignet sich dieses strategische Vorgehen auf Steam zur Etablierung einer Gegenöffentlichkeit. Besagte Netzwerke auf Steam setzen dabei ebenso konsequent auf aktuelle Kommunikationstrends (z.B. Memes).
Zentral wird in diesem Zusammenhang auch das sogenannte „Off-Ramping“, also die Weiterleitung von einer Plattform zu anderen. Dadurch werden den Nutzer*innen zusätzliche Features, Inhalte und Aktivitäten durch externe, ergänzende Plattformen zur Verfügung gestellt. Zudem kann auf diesen Plattformen, unbeobachtet von der öffentlichen Steam–Community, ein Austausch einschlägiger Inhalte stattfinden. Zu diesem Zweck wird daher vornehmlich auf Plattformen zurückgegriffen, welche den Nutzer*innen ein Mindestmaß an Anonymität bieten. Diese Plattformen werden, abhängig von ihrer Beschaffenheit und ihrer Eignung für unterschiedliche Aktivitäten und Zielsetzungen verwendet. Auch wenn das „Off-Ramping“ ein gemeinsames Merkmal aller Steam-Gruppen-Typen ist, so unterscheiden sich dieses hinsichtlich der damit verfolgten Zielsetzungen und dementsprechend durch die Auswahl der genutzten bzw. kombinierten Plattformen:
So kann YouTube für die Verbreitung von Aktions- und Mobilisierungsvideos genutzt werden. Facebook wiederum bietet sich dafür an, rechtsextremes Gedankengut in Form von Beiträgen zu verbreiten, während auf Bandcamp und Spotify rechtsextreme Musik konsumiert werden kann. Anonyme Messenger-Dienste wie Telegram werden insbesondere konspirativ, beispielsweise zur Planung und Koordination von Aktionen, eingesetzt, da die von derartigen Diensten gebotene Daten-Sicherheit auch zum Austausch von gewaltverherrlichenden, verfassungsfeindlichen Inhalten genutzt werden kann. Besonders dieser Umstand stellt ein erhöhtes Gefahrenpotential dar, dem vermehrt Aufmerksamkeit geschenkt werden sollte.
Steam-Gruppen, die ihre Themen und Ansichten in gemäßigter Form vertreten (oder ihre Szenenzugehörigkeit durch den „Unterhaltungscharakter” verschleiern) und deswegen Anschluss an die Mehrheitsgesellschaft haben (z. B. AfDeSports), sind in der Lage, ihre politischen Botschaften in breitere Gesellschaftsschichten zu tragen und gerade junge Menschen leichter zu erreichen.
6. Kontextualisierung der gewonnenen Erkenntnisse
Die beschriebenen Steam-Gruppen-Typen unterscheiden sich hinsichtlich ihres Auftretens, ihrer Zielsetzungen und Aktivitäten und insbesondere hinsichtlich der in diesen Gruppen herrschenden soziographischen Strukturen. Je nach Zielsetzung nutzen bzw. kombinieren sie unterschiedliche Features und Dienste und wirken sich deshalb unterschiedlich auf die Lebenswelten ihrer Nutzer*innen aus – online wie offline. Wie skizziert, existieren dennoch „typen-übergreifende“ Charakteristika für rechtsextreme Steam-Gruppen im Bereich ihres Kommunikations- und Strategieverhaltens.
Die skizzierten Gruppentypen und die ihnen angehörigen Mitglieder agieren selbst autark, sind aber im Sinne des „Off-Rampings“ kommunikativ gut vernetzt. In Kombination mit dem Verzicht auf feste Organisationsstrukturen und ihrem Selbstverständnis als „Vereinigung zum Widerstand“ erinnern die rechts-orientierten Steam-Gruppen an die Organisationsform der „Freien Kameradschaften“ („Kameradschaftsmodell”). Die Organisation und Teilnahme an Kundgebungen, Aufmärschen und Demonstrationen verbindet „Freie Kameradschaften“ mit den Interest Groups, während der hohe Stellenwert der „Erlebniswelt Rechtsextremismus” ein gemeinsames Merkmal von „FreienKameradschaften“ und Spieler*innengemeinschaften darstellt.
Speziell News– und Interest Groups fügen sich nahtlos in unterschiedlichste Internet-Plattformen ein. Unserer Einschätzung zufolge lassen sich diese Gruppen einfach und effizient mit bestehenden Diensten und Plattformen verknüpfen, wie an der zuvor dargelegten Thematik des „Off-Rampings“ zu erkennen ist. Mit Steam und dessen Eingliederung in das Gefüge weiterer Internetplattformen und -dienste, erlangen rechtsextremistische Netzwerke somit Zugang zum Publikum der Gaming-Subkultur.
Das Gemeinschafts- und Zugehörigkeitsgefühl, das durch Gaming gefördert wird, die Verbundenheit mit den „Teamkameraden*innen“ und das Teamwork, welches erforderlich ist (speziell im Wettkampfbereich) um zu siegen, sind Elemente, die auch in anderen rechts-orientierten Gruppierungen (insbesondere hinsichtlich der Gruppendynamik und des Identitätsmanagements) eine herausragende Bedeutung einnehmen. Gemeinsames Gaming, vor allem in kompetitiven Wettkampf-Spielen, knüpften an eine „Wir gegen die“-Mentalität an, die in rechtsmotiviert bzw. -extremistischen Gruppen durch Feindbilder geschaffen wird.
Das Vorliegen von Risikofaktoren, wie z. B. sozialer Isolation oder persönlichen Krisen, kann in manchen Fällen eine Kompatibilität zwischen der Lebenswelt der Nutzer*innen und den Angeboten rechts-orientierter Steam-Gruppen konstituieren, und damit deren Attraktivität erhöhen.
Untersuchungen, speziell im Kontext der Corona-Pandemie, legen dabei nahe, dass soziale Isolation durch Online-Gaming gelindert werden kann (vgl. Redaktionsnetzwerk Deutschland 2020; Webcare.plus 2021), was ein Grund für den globalen Bedeutungsanstieg des Gamings im Zeitraum der Pandemie sein dürfte (Simon-Kucher & Partners 2020, Statista 2022). In diesem Sinne ist der zeitgleich eingetretene Bedeutungsanstieg der Gaming-Plattformen für rechts-motivierte Netzwerke ein Ausdruck der Anpassungsfähigkeit ihrer Cyberaktivitäten und Organisationsformen an sich verändernde soziokulturelle Rahmenbedingungen.
Das Gaming eignet sich darüber hinaus auch für das Verbergen der ideologischen und politischen Dimension rechts-orientierter (Steam-)Gruppen – ähnlich, wie der Besuch von Konzerten szenetypischer Bands oder die Mitgliedschaft in Sportvereinen. Der Rückgriff auf die „Erlebniswelt Rechtsextremismus“ erweist sich speziell bei der Rekrutierung als effektiv, weshalb das gemeinschaftliche Gaming auch für rechts-orientierte Gruppierungen attraktiv ist.
Damit Fachkräfte der Prävention und Intervention wirksame Maßnahmen entwickeln und umsetzen können, sind Untersuchungen zu rechtsextremistischen Netzwerken und ihren Aktivitäten auf Gaming-Plattformen, wie z. B. Steamweiterhin notwendig. Rechts-orientierte Aktivitäten befinden sich in einem konstanten Wandel und passen sich aktuellen Entwicklungen flexibel an. Da diese Aktivitäten plattformübergreifend stattfinden, gilt es, nicht nur die einzelnen Plattformen losgelöst voneinander zu betrachten, sondern den Sozialraum Internet als ein Ganzes zu begreifen und sich im Falle von Steam auch mit den damit verknüpften Diensten, wie z. B. dLive, Discord, Twitch etc. ausführlich zu befassen.
Um Maßnahmen bedarfsgerecht zu gestalten, haben wir in einem zweiten Schritt eine Umfrage zu Erfahrungen mit rechtsextremen Inhalten in Gaming-Communities durchgeführt. Die Ergebnisse können hier bald nachgelesen werden.
Fußnoten:
[1] Die Ausprägungen des rechten Spektrums auf Steam umfassen NS-Verherrlichungen, antisemitische Verschwörungsnarrative sowie ethnopluralistische Bewegungen der Neuen Rechten.
[2] Die folgenden Klassifikationen gehen auf Marotzki 2017, S. 153 ff. zurück.
[3] Raids: Eine Gruppe greift organisiert, gemeinsam und zum abgestimmten Zeitpunkt eine andere Gruppe oder ein einzelnes Profil an, indem beispielsweise die Kommentarspalte mit Beleidigungen geflutet, oder die Gruppe und ihre Mitglieder gemeldet werden.
[4] Teamspeak und Discord sind Kommunikationsprogramme, die es Nutzer*innen ermöglichen, sich per Sprach- und Textchat auszutauschen.
Literatur:
- https://de.statista.com/statistik/daten/studie/1189927/umfrage/veraenderung-der-Gaming-zeit-von-videospielern-weltweit-waehrend-der-covid-19-pandemie/ (zuletzt eingesehen am 03.05.2022).
- https://webcare.plus/Gaming-gegen-die-soziale-isolation-corona/ (zuletzt eingesehen am 03.05.2022).
- https://www.rnd.de/digital/wegen-corona-videospiele-gegen-soziale-isolation-JCPUHRJ6CZHBJJAYIVEUYYWO2I.html (zuletzt eingesehen am 03.05.2022).
- https://www.simon-kucher.com/de/about/media-center/studie-zeigt-gamer-weltweit-investieren-seit-der-corona-krise-mehr-zeit-und-geld-videospiele-ein-trend-der-bleiben-wird (zuletzt eingesehen am 03.05.2022).
- Marotzki, Winfried. 2017. „Online-Ethnographie – Wege Und Ergebnisse Zur Forschung Im Kulturraum Internet“. MedienPädagogik: Zeitschrift für Theorie und Praxis der Medienbildung 3 (Jahrbuch Medienpädagogik).